Die ersten vier deutschen Kieler Woche-Sieger 2022 heißen Adrien-Paul Farien (Waszp), Heiko Kröger (2.4mR), Ole Schweckendiek (ILCA 6) und André Budzien (OK-Jollen). Damit übernehmen die Einheimischen vor dem olympischen Teil der Segelregatta, der am Mittwoch (22. Juni) beginnt, Platz eins in der Nationenwertung. Die weiteren Gesamtgewinner der internationalen Bootsklassen kommen aus Norwegen und Dänemark (je zwei) sowie Ungarn und Neuseeland.
„Trotz des schwierigen Montags fällt unsere Bilanz des ersten Kieler-Woche-Teils sehr zufrieden aus“, sagte Regatta-Organisationsleiter Dirk Ramhorst. „Wir sind zum Schluss eine Stunde früher in die Rennen gestartet, um noch mal alles rauszuholen. Und wir wurden mit einem grandiosen Tag belohnt, der die Regatten der internationalen Klassen abgerundet hat. Wir freuen uns jetzt auf die kommenden fünf Tage mit den acht olympischen Disziplinen, den 420ern, J/24 und J/70 sowie der ACO Weltmeisterschaft der Musto Skiffs. Das werden echte Highlights mit Top-Feldern.“ Doch bevor die Kieler Woche mit einem Feuerwerk über Schilksee in der Nacht Halbzeit feiert, durfte Ramhorst noch die Medaillen an die Sieger der internationalen Klassen überreichen.
Folkeboot Gold Cup
Zum Start in den Tag schien es, als könnte der deutsch-dänische Kampf um die Krone der Dreimann-Kielbootklasse noch mal spannend werden. Während sich die Crew von Ulf Kipcke (Kiel) aus der Lauerposition in der Gesamtwertung an die Spitze der ersten Tageswettfahrt setzte, jagten die top-positionierten Dänen-Crews in diesem Rennen das Feld vor sich her. Der Gesamtführende, Søren Kæstel aus Kopenhagen, konnte sich aber Zug um Zug aus der brenzligen Situation befreien, machte Platz um Platz gut. Während Kipcke am Ende Zweiter wurde, folgte Kæstel kurz dahinter als Vierter.
Damit hatte der Däne alle Trümpfe in der Hand für seinen fünften Gold-Cup-Sieg und spielte die Karten in der finalen Wettfahrt knallhart aus. Vom Start weg kümmerte er sich intensiv um den Kieler Lokalmatador, hatte ihn in der Abdeckung und ging jede Wende mit. Da das Kipcke-Team die einzige Mannschaft war, die Søren Kæstel den Triumph noch hätte streitig machen können, war dem Dänen die eigene Platzierung fast egal. Zwischendurch schien es gar, als würde beide Crews ans Ende des Feldes zurückfallen, im Ziel kamen sie dann aber wieder als Zweite (Kæstel) und Vierte (Kipcke) an und sicherten sich damit Platz eins und zwei vor John Wulff (ebenfalls Dänemark).
„Wir waren vielleicht ein bisschen hart zu ihm. Aber es ging eben nur noch um uns beide“, berichtete Kæstels Vorschiffsmann Erik Andersen von der konsequenten Kampflinie seines Steuermanns. „Aber Ulf Kipcke hat es gut gemacht, ist noch wieder weit nach vorn gekommen.“ Noch auf dem Wasser feierten die Dänen den Coup. An Land überließ Søren Kæstel die Arbeit am Kran seinen Teamkollegen. Er selbst machte sich auf den Weg, um Schaumwein zu holen. Andersen: „Das ist sein Job. Denn die Sieger des Gold Cups müssen den Pokal mit Champagner füllen.“
29er Euro Cup
Die Neuseeländer George Lee Rush/Sebastian Menzies trotzten den eigenen Nerven, dem Druck der Gegner und selbst einem Mann-über-Bord-Manöver, als Menzies nach einem Bruch des Trapezdrahtes kurz aus dem Skiff fiel. Allen Problemen zum Trotz feierten sie ihren ersten Kieler Woche-Titel in der Nachwuchs-Skiffklasse 29er und brachten sich in Form für weitere große Aufgaben. „Der Wind war schwierig, bei den Starts sind wir nicht in Fahrt gekommen, und das Niveau in der Goldgruppe war unglaublich hoch“, resümierte Steuermann Lee Rush. Nach acht Rennsiegen in den neun Wettfahrten der ersten drei Tage mussten sie sich nun mit den Platzierungen 9, 16 und 3 zufriedengeben. Da die Rostocker Carl Krause/Max Georgi als erste Verfolger zwar gute Resultate, aber keine Siege einfuhren, reichte es für die Neuseeländer zu Gold vor Krause/Georgi und den schwedischen Geschwistern Hedvig und Hugo Liljegren. Die Kieler Woche-Titelverteidiger Anton und Johann Sach aus Zarnekau hatten einen gebrauchten Tag und rutschten auf Platz acht ab.
2.4mR
Das Leistungsniveau von Heiko Kröger in der Inklusionsklasse 2.4mR war in den vergangenen Tagen so hoch, dass wohl kein Buchmacher Wetten auf eine Niederlage des Hamburgers zur Kieler Woche angenommen hätte. Und die Erwartungen wurden erfüllt. Mit zwei weiteren Siegen gewann Kröger seinen 13. Titel vor Kiel in überlegener Manier vor Christoph Trömer (Stade) und Antonio Squizzato (Italien). „Eine Selbstverständlichkeit ist es trotzdem nicht. Die Bedingungen in Kiel sind immer so, dass man keine Sekunde schlafen kann“, so Kröger.
Der Paralympics-Sieger von 2000 hat indes ganz andere Probleme seines Sports im Blick: „Das Segeln steht vor großen Herausforderungen. Die Preise für Containerfrachten sind explodiert. Vor drei Jahren kostete ein Container nach Amerika 6.500 Euro, jetzt sind es 36.000 Euro. Das kann sich niemand leisten, deshalb muss es ein Umdenken geben.“ Er wird deshalb nicht zur Klassen-WM nach Florida gehen.
Skeptisch bleibt der Kämpfer für den inklusiven Sport auch zu den Chancen einer Paralympics-Rückkehr des Segelns: „Der Weltverband hat hier in den vergangenen Jahren einen guten Job gemacht und neue Nationen an den Start gebracht. Aber auch andere Sportarten drängen in das Paralympics-Programm. Deshalb wage ich keine Prognose, welches Hölzchen wir bei der Auswahl der Sportarten ziehen.“
Contender
Etwas beschwerlich fanden die dänischen Contender-Asse nach dem unfreiwilligen Ruhetag am Montag in die finalen Rennen. Nach den Plätzen sieben für den führenden Jesper Armbrust und vier für Verfolger Sören Dulong Andreasen am Dienstagmorgen kam sogar noch der Hamburger Eike Martens ins Spiel um den Kieler Woche-Sieg. Aber das Dänen-Duo ließ sich nicht aus der Spur bringen und sicherte sich schließlich den Doppelsieg mit Andreasen knapp vor Armbrust und Martens.
„Wir haben beide ganz genau aufeinander geachtet. Deshalb haben wir nicht die Top-Ergebnisse der vergangenen Tage erzielt. Es war ein enger Kampf die gesamte Zeit über, und es ging immer darum, Fehler zu vermeiden“, so Andreasen, der vor Kiel seinen siebten Sieg insgesamt und den vierten Sieg in Folge einfuhr: „Im letzten Rennen wurde es noch mal knifflig. Jesper und ich sind links gestartet und der Wind drehte nach rechts. Damit hatten wir plötzlich Segler um uns, denen wir vorher auf der Bahn nicht begegnet waren. Danach mussten wir uns erst einmal wieder nach vorn arbeiten. Aber es hat geklappt.“
Europe
Die erste deutsche Prüfung hat der Däne Caspar Fink (Dänemark) mit Bravour bestanden, die nächste folgt morgen. Mit sechs Siegen und zwei zweiten Plätzen in den acht Wettfahrten dominierte er das Europe-Feld fast nach Belieben. „Der Schlüssel zum Erfolg war die hohe Bootsgeschwindigkeit – sowohl auf den Am-Wind- als auch den Vorwind-Kursen. Es hat wirklich Spaß gemacht bei diesem Wetter und den Wellen auf der Bahn“, sagte der 19-Jährige. Nach dem Erfolg stürzte er sich gleich wieder in die Arbeit. Denn am Mittwoch steht für ihn die Deutsch-Prüfung auf dem Sonderborger Gymnasium an. Auf Rang zwei folgte Finks Landsmann Simon Christoffersen vor der Kielerin Marisa Roch.
Flying Dutchman
Die Schlüsselszene der FD-Entscheidung war der Start zum sechsten der neun Rennen. Kay-Uwe Lüdtke/Kai Schäfers (Berlin/Arnsberg) waren zu früh dran, kassierten eine Frühstart-Disqualifikation und mussten die Gesamtführung den Ungarn Szabolcs Majthényi/Andras Domoskos überlassen. „Danach konnten sie sich keinen Streicher mehr erlauben und mussten vorsichtig am Start agieren. Das haben wir für uns genutzt, haben uns auf die beiden konzentriert und sie kontrolliert“, so Majthényi. „Aber es war immer eng. Wichtig war für uns, dass wir weitere Erfahrung in Kiel sammeln konnten, denn wir wollen im August zum 50-jährigen Jubiläum der Olympischen Spiele dabei sein.“
Auch Kay-Uwe Lüdtke/Kai Schäfers, bei den vergangenen beiden Weltmeisterschaften jeweils hinter den Ungarn auf Rang zwei, sehen sich in Schlagdistanz zu den Rekordweltmeistern: „Ohne die Frühstart-Disqualifikation wäre es anders ausgegangen. Die nächsten Chancen, sie zu schlagen, sind im August in Kiel und die WM kurz darauf am Gardasee. Ich denke, es wird eng. Die Super-Dominanz der vergangenen Jahre haben sie nicht mehr“, so Lüdtke. Alexander Antracht/Christian Kujan (Mardorf/Forggensee) sorgten für einen weiteren deutschen Podestplatz.
ILCA 4
Jubelnd wurde Gudleik Berg-Kjöpsnes von seinen Begleitern an Land in Empfang genommen. Es war der erste Auftritt des Norwegers zur Kieler Woche, und der endete gleich mit dem Sieg in der Nachwuchsklasse der olympischen Disziplin. „Ich wollte zwar schon in den vergangenen beiden Jahren hier sein, ab da war Corona. Jetzt hatte ich mir eine Platzierung unter den ersten Drei vorgenommen und habe versucht, Fehler zu vermeiden. Das hat sehr gut geklappt“, so der 16-Jährige, der nun bei der WM in Portugal weitere hohe Ziele verfolgt: „Da möchte ich auch ganz weit oben im Ranking stehen.“ Hinter dem Norweger landeten die beiden Mädchen Josephine Koep (Braunschweig) und Nanna Sofie Juell-Bergan (Norwegen) auf den Podiumsplätzen.
ILCA 6
Mit einer Frühstart-Disqualifikation eröffnete Titelverteidiger Ole Schweckendiek (Kiel) den letzten Tag und setzte sich damit noch mal selbst unter Druck. „Das hat es spannend gemacht. Zum Glück hatte auch der Neuseeländer einen Frühstart. Danach mussten wir beide vorsichtig agieren. Aber mit den Plätzen sechs und eins zum Abschluss ging alles gut“, so der 17-Jährige. „Das intensive Wintertraining scheint sich jetzt auszuzahlen.“ Auf die Kieler Woche folgen nun die EM, dann die Youth Worlds, die Deutsche Jugendmeisterschaft und anschließend der Umstieg in den olympischen ILCA 7. Zu seinen Ambitionen bei der bevorstehenden EM in Griechenland gibt sich der Kieler Schüler zurückhaltend: „Ich will Spaß haben und unter die besten 15 fahren.“ Hinter Schweckendiek folgte der Neuseeländer Caleb Armit auf Platz zwei. Die Neu-Kielerin Amaya Escudero, die nach langem Auslandsaufenthalt mit ihren Eltern im vergangenen Jahr nach Deutschland zurückgekehrt ist, arbeitete sich noch auf Platz drei vor.
OK-Dinghy
Bei den OK-Jollen gab es im Laufe der Serie nur zwei Rennsieger: Entweder hatte André Budzien (Schwerin) den Bug vorn oder der Däne Bo Petersen. „Wir haben uns immer belauert, und ich habe Bo ganz gut in den Griff bekommen. Unsere Serie sieht klarer aus, als es war. Wenn wir aber vorn sind, dann können wir den Abstand auch halten“, so Budzien. Die Kieler Woche sei immer ein Highlight der Klasse. Verfolger Bo Petersen rätselte zwar etwas, woher Budzien den Geschwindigkeitsvorteil hernahm, war an Land aber der erste Gratulant: „André war besser hier. Die Zahlen lügen nicht. Aber ich bin gut vorbereitet für die WM im August, werde das Material jetzt noch mal feintunen.“ Hinter Budzien und Petersen rundete der Neuseeländer Greg Wilcox das Podium ab.
Waszp
Auch das einzige Rennen am Schlusstag der sogenannten Wespen gewann Adrien-Paul Farien und strahlte über seinen Heimsieg im zweiten Anlauf. Bei der Waszp-Premiere zur Kieler Woche im Vorjahr hatte der Kieler noch der Norwegerin Mathilde B. Roberstad den Vorzug lassen müssen. Diesmal lies der 22-Jährige nichts anbrennen und ging in allen sechs Rennen als Erster ins Ziel. Aber warum hat er das zweite laut Ergebnisliste aufgegeben? „Ich bin mit meinem Trainingspartner Leo Maechler leicht kollidiert. Aber wir wollten keinen Protest, da habe ich einfach zurückgezogen“, erklärt Farien, der durch einen Streicher trotzdem eine weiße Punktweste behielt. Maechler, ebenfalls Kieler, wurde Zweiter vor dem Schweden Hanno Seifert.
Titelfoto: Kieler Woche / Christian Beck